Ein Weltstar wie ein Wirbelwind. Im Zuge ihrer Europa-Tour kommt Klavier-Göttin Yuja Wang ins Konzerthaus und nach Schönbrunn.
Sie trägt Glitzerkleider zu High Heels, geht mit dem iPad ins Bett und gibt Brahms, Prokofjew und Co deren ursprünglichen Glanz zurück. Yuja Wang ist die gefeiertste Klassik-Interpretin ihrer Generation, kennt Chopin aus dem Effeff und lebt trotzdem ganz im Heute.
Yuja Who? Na, Miss Wang, der weibliche Wirbelwind, der wie Lang Lang eines vermag: die Jungen für Musik zu begeistern, die älter ist als sie, sowie Alt und Jung von Sydney bis Salzburg in Scharen in die Konzerthäuser zu locken.
Oder zu Open-Air-Events wie dem Sommernachtskonzert der Wiener Philharmoniker vor Schloss Schönbrunn am 20. Juni.
Es soll Rosen regnen
Gustavo Dudamel, Dirigent dieses Ereignisses, streute ihr schon vor sechs Jahren Rosen. „Sie ist ein Genie“, schwärmte der Leiter des Los Angeles Philharmonic Orchestra nach einer ersten Zusammenarbeit mit dem Ausnahmetalent. „Sie spielte das zweite Klavierkonzert von Prokofjew und das dritte von Rachmaninow an einem Abend.“ Und das mit einer Präzision und einer Passion, dass Zuhörern der Mund offenblieb.
Die Augen sowieso. Denn Yuja Wang ist bekannt dafür, in so kurzen Röcken und auf so filigranen Stilettos zum Flügel zu trippeln, dass das Publikum mitunter begeistert den Takt dazu schlägt.
Wie virtuos Miss Wang die Tasten traktiert, sieht und hört man bei obigem kleinen Beispiel – die Zugabe bei ihrem Auftritt vor drei Wochen beim Festival “Musik im Riesen” in Innsbruck.
Konservative Geister mögen sich an ihrem Outfit stoßen. Andere betrachten es als willkommene Entstaubung des Klassikbetriebes. Und sie selbst? Sie sieht es gelassen. Die in Bejing geborene Yuja Wang meinte in der im Vorjahr auf DVD und Blu-ray erschienenen Filmbio Through the Eyes of Yuja: „Meine Mutter ist Tänzerin. Ich bin also von klein auf daran gewöhnt, dass Frauen ihren Körper zeigen. Wenn ich bei Auftritten meinen zeige, dann einfach weil ich jung bin.“
Die in New York lebende Musikerin hat ein entspanntes Verhältnis zu überspannten Erwartungen anderer und Ereignissen, die auf sie zukommen. Kaum hatte sie 2011 beim Verbier Festival in der Schweiz ihren legendären Auftritt mit Rachmaninows Konzert Nr. 2 absolviert, stand sie schon im Mittelpunkt eines kryptisch angelegten Briefromans.
China am Klavier
In China am Klavier des französisch-schweizerischen Romanciers Étienne Barilier debattieren zwei fiktive Musikkritiker über die musikalischen Qualitäten einer „amerikanisierten Chinesin, der ein schmeichelhafter Ruf vorauseilt“. Diese Mei Jin changiert zwischen kühlem „Konzentrat von pianistischem Hightech in einer verführerischen Verpackung“ und einer bewunderten „Interpretin von seltener Vollkommenheit. Chopin selbst hätte sein Opus 35 vielleicht so gespielt, wie es Mei Jin vor uns getan hat.“
Dabei lässt sich auch die echte Yuja Wang nicht auf einen Typ festnageln. Im Vorjahr programmierte die personifizierte Anmut aus Asien fünf Konzerte mit prominenten Gästen „in meinem Wohnzimmer, der Carnegie Hall“. Einer der Kollegen war Martin Grubinger, der aus Salzburg stammende Weltklasse-Perkussionist. Er hielt diesen Moment, sein Debüt in der Carnegie Hall, auch für das TV-Magazin KlickKlack im Bayerischen Rundfunk fest. Ein fast unspielbares Stück von Bartók war ihre Wahl und das in einer noch nie gehörten Version.
Wang, in einer Lederjacke locker auf den Stufen vor der Carnegie Hall hockend, euphorisch zu Grubinger „We’re gonna rock this place! Wir bringen endlich ein bisschen Rock ’n’ Roll in die Carnegie.“ Und so war es. Beide rissen das Publikum begeistert aus den roten Sesseln.
Kuschelecke im 55. Stock
Yuja wohnt gleich ums Eck in einem Apartment im 55. Stock. Andere würde das schwindelig machen, sie liebt die Aussicht auf die Skyline von Manhattan. Ihre Kuschelecke ist in einer Ecke vor französischen Fenstern platziert. Ihr zu Füßen liegt ihr Arbeitsgerät, ein Steinway-Flügel.
Wenn am Firmament die Sterne funkeln, kann es sogar passieren, dass sie dazu Beethoven über die Tasten perlen lässt. Nicht unbedingt die „Mondscheinsonate“, denn so viel Romantik ist selbst ihr zu viel.
Für einen Freund ist in Yuja Wangs Leben derzeit kein Platz. Vorgestern mit dem City of Birmingham Symphony Orchestra in Innsbruck, dann Zürich, Genf, die Elbphilharmonie in Hamburg, Istanbul, Athen und eben das Sommernachtskonzert am Schloss Schönbrunn. Danach Mailand, einen Monat Pause und erneut ein dichtes Programm zwischen L. A. und Asien. Als Wanderin zwischen den Welten kennt sie nur zwei Begleiter. Ihr iPad. Und ein Buch von Italo Calvino, in dem sie auch im Sommer gerne blättert – „Wenn ein Reisender in einer Winternacht“. Hier finden sich Sätze, die für sie wie geschaffen sind: „Die zeitliche Dimension ist zerbrochen, wir leben und denken nur noch in Fragmenten von Zeit, die jeweils auf einer eigenen Bahn davonfliegen und im Nu entschwinden.“ Klingt abgehoben, entspricht aber dem Lifestyle der jungen Solostars aus dem Klassikbetrieb. Heute dort, morgen da, und dazwischen?
Am 12. Juni tritt sie jedenfalls im Wiener Konzerthaus auf, mit dem Orchestre Philharmonique du Luxembourg. Und am 20. Juni mit den Wiener Philharmonikern unter Gustavo Dudamel beim “Sommernachtstraum” vor Schloss Schönbrunn.